Laubengänge oder vom Gelingen ungeplanter Begegnungen

Anna Magin, 02.07.2020

Für mein Praktikum bei Urbanizers und mein anschließendes Masterstudium bin ich aus dem beschaulichen Weimar in das herausfordernde Berlin gezogen. Dieser Schritt ist für mich der Übergang aus dem Laboratorium Universität in den praktischen Kosmos Büro. Zumindest vorerst.

Zur Zwischenmiete wohne ich in einem erst kürzlich fertig gestellten Neubau in Neukölln. Der Bau orientiert sich zum einen an der klassischen Berliner Blockrandbebauung und integriert zum anderen die veränderten Anforderungen an das Wohnen durch offen gestaltete Grundrisse. Zentrales Element des Blocks ist die Erschließung über Laubengänge. Momentan sind sie noch ziemlich karg – es wurden überwiegend Sichtbeton, Stahlgitter und Wellblech als Außenmaterialien verwendet. Aber nach und nach gestalten die neuen Bewohner:innen die Bereiche auf ihrem eigenen Teilstück des Laubengangs: Schon die eine oder andere Hollywoodschaukel, eine Essenstafel, Sitzsäcke und unzählige Pflanzen haben ihren Weg auf die Außengänge gefunden. Die Mehrzahl aller Wohnungen ist ausschließlich über den Weg der Laubengänge erschlossen. Häufig müssen die Bewohner:innen somit an zwei bis drei „fremden“ Wohnungen vorbei, bis sie ihren eigenen Wohnungseingang erreicht haben.

Und was ereignet sich in diesen Zwischenräumen? Kommt es tatsächlich zum erhofften Austausch zwischen den Mieter:innen? Werden die Laubengänge als erweiterter Wohnraum verstanden oder lediglich als Erschließungsräume genutzt?

Ein Seitenblick: Etwa vier Kilometer südöstlich meines Wohnblocks liegt die Highdecksiedlung. Mehr oder weniger zufällig bin ich durch Recherchen bei Urbanizers auf diese besondere Wohnsiedlung aus den 1970ern gestoßen. Markant für die Siedlung ist die konsequente Umsetzung der „autogerechten Stadt“.* Dieses Leitbild gehörte seit Beginn der Massen-Mobilisierung in den 1950er Jahren zu den richtungsweisenden Prinzipien der Stadtentwicklung. In der Highdecksiedlung erweiterten die beiden Architekten Oefelein und Freund dieses Leitbild in Richtung einer zugleich fußgänger:innengerechten Stadt. Die flächendeckende Stapelung der beiden Verkehrsebenen war damals einzigartig und auch heute findet sich noch wenig Vergleichbares. Die Idee bei der Gestaltung der Fußgänger:innenebene (Highdecks) war dabei folgende: Die Highdecks sollten zugleich Erschließungsraum und Kommunikationsbereich sein. Sitzgruppen, Spielgeräte und abwechslungsreiche Bepflanzung sollten eine gelöste Atmosphäre des nachbarschaftlichen Austauschs fördern. Die beiden Architekten sahen zudem die Gestaltung der Highdecks und der gemeinschaftlichen Grünflächen durch die Bewohnerschaft vor. Zunächst sollten die Bewohner:innen eine Auswahl aus einem Katalog möglicher Nutzungen treffen. Nach einer „Zeit der Identifikation“ hätten die Freiräume dann entsprechend der herausgebildeten Bedürfnisse verändert werden können. So vermerkten die beiden Architekten: „Highdeck und Freiflächen stellen sich als offene Zone dar, die Nutzungen für einen heute noch nicht definierten Bedarf an Gemeinschafts-Einrichtungen innerhalb wachsender Freizeitansprüche aufnehmen können.“ Allerdings wurde dieses Konzept nie umgesetzt; insbesondere bei der Außengestaltung der Siedlung wurden erhebliche Abstriche gemacht, da sie scheinbar vonseiten der Wohnungsbaugesellschaft GSW als eher unwichtig erachtet wurde.

Bei meiner kleinen Exkursion in die Highdecksiedlung hatte ich den Eindruck, dass die Highdecks kaum genutzt werden. Vermutlich auch deshalb, weil sie kaum gestaltet sind und weil fast jegliche Aktivität darauf verboten ist. Von Grillen bis hin zu Fußballspielen ist laut Verbotsschild nichts erlaubt. Was also tun auf den Hochstraßen, die ohnehin für die Erschließung nicht (mehr) notwendig sind? Die Mieter:innen können nämlich von der Erdgeschossebene aus, die ursprünglich ausschließlich den Autos vorbehalten war, direkt in die Hauseingänge gelangen – ohne dabei die Highdecks zu benutzen. Außerdem scheint das Fußgänger:innenwegenetz völlig überdimensioniert im Verhältnis zum eigentlichen Bedarf.

Zurück in meinem Wohnblock: Neben der alltäglichen Nutzung als erweiterte Wohnfläche hat sogar schon ein Open-Air-Kino im Innenhof des Wohnblocks stattgefunden. Viele der Bewohner:innen saßen auf ihren Laubengängen und haben gemeinsam einen auf die Hauswand projizierten Film angesehen. Für mich spielt der Laubengang außerdem noch eine besondere Rolle: Mein Zimmer ist relativ klein und dunkel. Deshalb genieße ich es besonders, meinen Feierabend und die Wochenenden auf unserer Laubengang-Terrasse zu verbringen. Dieser Ort trägt also maßgeblich zu meiner Lebensqualität und zu meinem Wohlbefinden bei.

*siehe dazu auch die Studienarbeit „Highdecksiedlung und Rollbergviertel – Zwei Wohnkonzepte der 1970er Jahre“ an der Universität der Künste Berlin im Studienjahr 2005-2006, unter https://archive.vn/20130206180902/http://siebzigerjahre.laufwerk-b.de/seminarbeitraege-referate/highdecksiedlung-rollbergviertel/ , zuletzt aufgerufen am 29.06.2020