Einblicke

Fahrrad und Stadtentwicklung: Zwischen Verkehrsmitteln, Symbolik und Partikularinteressen

Radfahren ist gut. Gut für die Umwelt, gut für die Gesundheit, gut für die Stadt und gut für den Geldbeutel. Weil es abgasfrei ist, Bewegung fördert und wenig Platz braucht, weil es relativ günstig zu erwerben ist und keine weiteren Kosten für Fahrkarten oder Benzin anfallen. Aber Radfahren in Städten geschieht oftmals unter erschwerten Bedingungen: fehlende Infrastruktur, gefährlicher Autoverkehr und Luftverschmutzung halten viele vom Radfahren ab. Die Lösung zur Förderung des Radverkehrs scheint also auf der Hand zu liegen: mehr und bessere Infrastruktur, insbesondere Radwege und Abstellanlagen, sowie die Reduzierung des Autoverkehrs und die Aufwertung der öffentlichen Räume. Städtebau à la Jan Gehl. Spricht irgendetwas dagegen? Nein. Oder?

Politisierung: Symbolik und Partikularinteressen

Historisch gesehen ist das Fahrrad sowohl Symbol von Reichtum und Status als auch von Unterdrückung und Widerstand und fahrradfreundliche Straßen stets das Ergebnis der Arbeit von Interessengruppen. Eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, waren seine ersten Nutzer fortschrittsorientierte, industrielle Eliten, die in Clubs damit Sport trieben. Zum Verkehrsmittel entwickelte es sich erst um die Jahrhundertwende, als zum einen der Kaufpreis fiel und zum anderen durch intensive Lobbyarbeit ebendieser Eliten das Recht auf der Straße Rad zu fahren gesichert wurde. Mit der zunehmenden Verbreitung des Automobils wurden Radler dann immer weiter an den Rand und schließlich von der Straße gedrängt. Seinen Weg zurück begann es in den 1960er und 1970er Jahren als Protestsymbol für mehr Lebensqualität in Städten und gegen die zunehmenden Umweltbelastungen der autogerechten Planung.

Und heute? Heute formen sich in immer mehr Städten Interessengruppen, die sich für fahrradfreundliche Straßen- und Verkehrsgestaltung einsetzen. Neue Liefer- und Messengerservices setzen auf das Fahrrad als Transportmittel und kreieren neue Wirtschaftszweige. Die Critical Mass hat sich als Protestform rasant in vielen Städten der Welt verbreitet, sich dabei aber immer weiter von ihren ursprünglich global-ökologischen Zielen entfernt, während Ziele einer verbesserten Mobilität und des Rechts auf Straße weiter ins Zentrum rückten. Fahrradaktivismus wird immer öfter von Politprofis betrieben, die Kampagnen professionalisieren und den Diskurs ums Radfahren in Städten vorantreiben. Mit anderen Worten: Radfahren in Städten wird zwischen Symboliken und Partikularinteressen aus Wirtschaft, Umwelt und Mobilität politisiert.

Umkämpft: Öffentlicher Raum Straße

Wo liegt das Problem, mag man sich fragen. Das Problem liegt zum einen darin, dass das Politische innerhalb dieser Thematik allzu oft übersehen wird. Weit verbreitet ist die Annahme, dass fahrradfreundliche Straßengestaltung „allen“ nutzt, Radfahren „gut“ ist, Radfahrer ein „Recht auf Straße“ besitzen und dass der einzige, scheinbar übermächtige politische Gegner das Auto und seine Lobby sind. Doch die räumliche Perspektive ermöglicht andere Fragestellungen: Wo werden Radwege (nicht) gebaut? Wer setzt sich dafür ein? Wie sehen sie aus? Und wie sehen die Straßen aus auf denen sie verlaufen? Die „Stadt der kurzen Wege“ ist ein viel bemühtes Konzept. Aber ist sie in Anbetracht von steigenden Mieten und Verdrängung der ärmeren Bevölkerungsschichten an den Stadtrand eine sozial gerechte Lösung oder ein Privileg für einige? Und was passiert mit städtischem öffentlichen Raum, wenn radfahrer- und fußgängerfreundliche Straßengestaltung immer auch an Konsumeinrichtungen wie Einzelhandel und Gastronomie geknüpft ist? Straßenraum ist politisch. Dieser Kontroverse sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Annika Levels, seit Juni 2017 Teil des Urbanizers Team, hat zum Thema „Rethinking the Street!? – Politics, Processes, and Space of Bicycle and Pedestrian-friendly Street Transformations in New York and Berlin“ eine Dissertation verfasst und diese im September an der TU Berlin eingereicht.

Mehr:

Levels, A. (2017): Radfahren, zu Fuß gehen und die Politik der Stadtstraße. In: PlanerIn 5/17, S. 17-19

– Annika Levels, 06.12.2017